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19.10.2024
Brücken brennen

Ich war etwa zwölf Jahre alt, als es ein Schlüsselerlebnis in meinem Leben gab. Es mündete in einer Gerichtsverhandlung mit anschließender Freiheitsstrafe für den Täter und Sitzungen beim Psychologen für mich. Weiter wurde darüber, soweit ich mich erinnern kann, in der Familie nicht mehr gesprochen.

An eine Aussage aus dem polizeilichen Protokoll, welches ich wenige Jahre später mitsamt Bildern von mir aus meiner Kindheit aus dem Haus meiner Mutter habe mitgehen lassen, kann ich mich ganz gut erinnern. Daniel ist schwer depressiv! Das ich dieses Protokoll samt den Bilder später vernichtet habe war der Versuch, meine Vergangenheit auszulöschen. Ich wollte mich, und alles das ich an mir hasste, vernichten.

Mein Vater, den wir wie immer alle zwei Sonntage besuchen mussten, hatte zu der ganzen Sache nur eins zu sagen. Ich weiß nicht so genau was da passiert ist und ich will es auch nicht wissen! Damit war das Thema abgehakt und wir haben nie wieder darüber gesprochen.

Ich weiß gar nicht warum ich darüber schreibe. Das ist schon wirklich sehr privat. Sicher nicht als Abrechnung, Auch nicht, um es mir einmal von der Seele zu reden. Darüber bin ich lange hinweg.

Der Auslöser ist eher jener, dass mir mein eigener Sohn im Moment tierisch auf die Nerven geht und ich ihn am liebsten auch mit den Worten abschieben würde: Ich will von deinen Problemen nichts mehr wissen! Mein Schreck darüber hat Erinnerungen geweckt.

Ich habe Bauchschmerzen. Ich bin wütend und fühle mich belastet weil mein Sohn nicht so funktioniert, wie ich es von ihm erwarte. Das ist soweit auch vollkommen in Ordnung. Mir geht es nicht um Funktionieren. Kinder sollen ihren Eltern gar nicht gerecht werden, sie sollen zu eigenständigen Personen heranwachsen. Das sie dabei Fehler machen ist verzeihlich.

Bekanntlich hat aber alles seine Grenzen und man sollte als Eltern nicht alles tolerieren. Mir geht es um Vertrauen, um Ehrlichkeit und Verlässlichkeit. Diese Werte sehe ich mit Füßen getreten.

Nicht dass er der erste wäre der schwierig ist und auf der Suche nach dem eigenen Nordstern strauchelt. Was bin ich gestrauchelt.

Schon als kleines Kind habe ich meine Familie zu hassen gelernt. Für ihre typischen Eigenarten. Dafür, dass mein Bruder ständig Geld von meiner Mutter geklaut, den kleinen Bruder auf seine Seite gezogen hat. Dafür dass er seine körperliche Überlegenheit immer ausgenutzt hat und nicht einmal ein Freund war.

Meine Mutter, weil sie überfordert war. Weil doch niemand gedacht hätte, dass so etwas einmal passiert. Auch wenn es Verdachtsmomente gegeben hat. Das sie später alles mit den Worten glätten wollte, dass doch alles gar nicht so schlimm gewesen sei.

Man kann Vergangenheit schon ziemlich tief in sich begraben. Nicht einmal bemerken, dass sie noch in einem schlummert. Aber das tut sie. Irgendwann kommt dann ein Auslöser und der hebt sie wieder hoch. Dann kommt die Wut genauso zurück, wie die Enttäuschung.

Diese Enttäuschung erlebe ich gerade an meinem Sohn. Da ich gelernt habe, nicht alles zu zerstören und nicht alles abzuschieben dass mich belastet, denke ich intensiv darüber nach, wie ich damit noch umgehen soll. Anlässe hat es schon öfter gegeben, nur wollte ich nie davon schreiben. Ich werde auch nicht ins Detail gehen, aber mir Luft machen. Als Erinnerung, wenn ich diese Zeilen irgendwann einmal wieder lese. Wenn wir älter sind.

Meine Hoffnung ist die, dass wir schnell altern und später wieder an einem Punkt zusammen kommen, an dem wir unbelastet ins Gespräch gehen können. Im Moment habe ich keine Lust darauf. Ich erwarte keine tragfähigen Ergebnisse von einem so jungen und unreflektierten Menschen. Mein Wunsch ist ein gutes Verhältnis zueinander zu haben. Zu wissen, wo man dran ist. Das muss dann aber von beiden Seiten kommen und kann nicht erzwungen werden.

Es ist wie immer an den Alten den Druck auszuhalten und zu warten. Auf einen günstigen Moment, auf den richtigen Zeitpunkt. Dabei schmerzlich beobachtend, wie die Jungen Brücken verbrennen.

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