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22.09.2024
Alter weißer Mann

Immer wieder führen wir als Eltern (Streit)Gespräche mit den Kindern zu ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Themen. Dabei fällt mir auf, wie sehr sich mein Blickwinkel im Laufe der Jahre gewandelt hat. Aber auch, wie schwer es manchmal sein kann, sich in die Jugend von Heute rein zu denken.

Ich betrachte die Welt aus dem Blickwinkel eines zweiundvierzig jährigen. Als jemand, der schon einiges auf die Beine gestellt hat. Im Gegensatz zum Nachwuchs habe ich mehr Lebenserfahrung. Viele schwierige Dinge habe ich schon durch. Die Zeit hat dafür gesorgt, dass ich Dinge heute anders wahrnehme oder in Erinnerung habe. Vieles war mir in jüngeren Jahren sicher auch einfach nur scheißegal und eigentlich dreht die Welt sich auch ohne mein Zutun weiter. Warum sich also groß Gedanken machen? Zähne zusammenbeißen und durch.

Dabei gibt es viele Themen die meinen Kindern Angst machen. Man sagt ja, diese Generation habe besonders viel Angst vor der Zukunft. Zu einem gewissen Maß kann ich das bei den beiden beobachten und auch nachvollziehen. Weil vieles sich in ihrer wirklichen Konsequenz stark von dem unterscheidet, was ich früher zu befürchten hatte. Weil das Internet vieles ganz nahe bringt was eigentlich sehr weit weg ist. Weil die Gangart innerhalb der Gesellschaft sich deutlich gewandelt hat.

Die Schuldigen sehen wir in der Politik, in Konzernen, in unterschiedlichsten Teilen innerhalb und ausserhalb der Gesellschaft. Die großen Probleme dieser Zeit, an erster Stelle der Klimawandel, schaffen eine Ohnmacht der man sich nur schwer entziehen kann. Es scheint als sei der Alltag, den es zwangsläufig zu bewältigen gilt, ein krasser Gegensatz zu allen Forderungen und Wünschen für die Zukunft zu sein. Nicht alles lässt sich gleich umsetzen. Nicht jeder Verzicht fällt leicht. Wir alle tun Dinge gerne, für die man seit wenigen Jahren ein schlechtes Gewissen gemacht bekommt. Wir alle wachsen mit Gewohnheiten auf, deren Auswirkungen wir nun zu spüren bekommen.

Erst gestern hatten wir noch eines dieser Streitgespräche. Ich bemerke dabei wie falsche Vorstellungen, Verallgemeinerungen und Halbwissen die Diskussion prägen. Das ist soweit in Ordnung. Unser Verständnis von allen Dingen wächst zunehmend durch Erkenntnis. Reibungen sind nicht ausgeschlossen. Die Alten sehen sich im Vorteil, glauben aufgrund ihres Alters einen weiteren Blick auf das Große Ganze zu haben. Dabei sehen sie nicht, dass sie durchaus die gleichen Fehler machen, Vorurteile und gefährlich fertige Meinungen haben. Die Jugend hingegen ist stets bemüht Mauern einzureißen und beruft sich dabei auf ihre ganz eigenen Erfahrungen und Quellen. Voreilige Schlüsse sind nicht auszuschließen. Dabei ist vieles komplex und jede Entscheidung hat eine Wirkung, deren Ausmaß sich erst im Nachgang zeigt.

Ich kann dabei sehr hart sein. Geht es um Krisenbewältigung, um die Angst vor der Zukunft argumentiere ich, dass die Kids sich mal nicht so haben sollen. Hört auf zu heulen! Wir hatten es auch schwer. Es gibt immer einen Weg, irgendwie ging es noch immer weiter. Man darf nicht zulassen, dass die Angst uns bewegungsunfähig macht. Es hilft nichts zu klagen. Wir müssen alle Verantwortung übernehmen und ins Handeln kommen. Nur so bewältigen wir Krisen.

Das zu sagen fühlt sich aus meiner Sicht natürlich gut und richtig an, ist zunächst mal aber einfach nur hart und auch ziemlich platt. Mit diesem Dampfhammer ebne ich mir den Weg, mache meinen Standpunkt klar. Dabei sind die Kinder alleine durch das Internet viel näher an den Krisen dran als ich in diesem Alter. Wie gut kann ich mich nun an die herablassenden Blicke der Alten erinnern als ich noch jung war. Als man mir anstelle meiner Kinder das Gefühl gegeben hat, irgendwas nicht zu verstehen. Nur wurde man nicht aufgeklärt sondern maximal milde belächelt. Daher werde ich der Ernsthaftigkeit der Sorgen meiner Kinder schlichtweg nicht gerecht. Ich will versuchen mich zu erklären.

Denke ich an meine Jugend zurück, an meine Kindheit, kann ich mich an viele Situationen erinnern an denen ich auch große Angst hatte. Auch damals gab es schon immer mal hier und da kleine Hinweise auf den Klimawandel. Ich bin im kalten Krieg aufgewachsen, der aber eigentlich kein Thema war. Es gab Schüler die mir Angst gemacht haben, was mich natürlich belastet hat. Daran denke ich heute aber nicht mehr. Ich hatte genug Zeit das zu durchleben, mir ein dickes Fell zuzulegen oder auch ganz klassich zu verdrängen. Probleme der Vergangenheit sind Vergangenheit, ich lebe in der Zukunft. Das Leben war außerdem, letztendlich, doch gut zu mir.

Hinzu kommt, dass ich viel Zeit hatte nachzudenken. Über mich, mein Leben, die Menschheit an sich, aber auch die Tatsache wie klein und nichtig wir letztendlich sind. Wenn der letzte Mensch stirbt spielt das keine Rolle. Wir nehmen uns zwar sehr wichtig, wenn der Käse gegessen ist und wir die Bühne verlassen ändert das dennoch nichts an den vielen Dingen die ganz ohne unser Zutun geschehen.

Daher bin ich sicherlich auch ein wenig gleichgültig geworden. Ich wertschätze das Leben und alle Dinge, am Ende stirbt aber jeder für sich. Um diese Erkenntnis zu erlangen hatte ich Zeit. Zeit und ein gewisses Maß an Sicherheit. Weniger Druck.

Vieles davon vermisst die Jugend. Migration ist heute, Klimawandel ist heute, Zukunftsangst ist heute. Wir stellen immer wieder fest, dass unsere Wertevorstellungen auf Lügen oder Ausbeutung fußen oder nur wenigen dienen. Wenn es um die Durchsetzung unserer Forderungen geht treten wir sie sogar mit Füßen, denn das wichtigste ist Wachstum und Jobsicherheit. Kunst, Liebe und Glück sind nur Lückenfüller in einer Gesellschaft, in der es vor allen Dingen darauf ankommt dass wir funktionieren. Wer das Pech hat, aus wirtschaftlich schwachen Verhältnissen zu kommen, ist gleich abgehängt. Und all diese Dinge sind nicht neu. Eigentlich sind die Ängste der Kinder die Ängste ihrer Eltern und deren Eltern und allen zuvor.

Daher kann ich meine Kinder sehr gut verstehen, wenn sie Angst vor der Zukunft haben. Die Welt ist stets im Wandel aber augenscheinlich ändert sie sich nicht. Im Gegenteil, die Probleme werden immer drängender. Die Rechten erstarken, Kriege und Migration wirken genauso auf uns wie das Artensterben oder Hass und Hetze im Internet. Wie will man Menschen, die sich nach einer friedlichen und gerechten Welt sehnen, Hoffnung machen in einem Theaterstück, in welchem Donald Trump Präsident werden konnte?

Ich wünschte ich könnte mit einer positiven Antwort abschließen. Aber all diejenigen, die an Krieg und Hunger in der Vergangenheit gestorben sind und noch heute sterben, waren die Kinder irgendwelcher Eltern. Die guten Wünsche sind am Ende grausamer Realität gewischen.

Wenn ich eines sagen kann das halbwegs positiv klingt, dann dass wir Menschen unser Schicksal oft selbst bestimmen können. Vieles ist nicht so schlimm, wenn wir uns nur die Zeit nehmen genauer hinzuschauen und denen keine Stimme geben, welche die Welt mit lautem Tamm Tamm in Scherben schlagen wollen. Wir haben noch immer Zeit. Es liegt an jedem einzelnen verantwortungsvoll zu handeln und das beste aus dem zu machen was uns allen gegeben ist. Vielleicht brauchen wir noch mehr Zeit. Vielleicht liegt die Antwort aber auch in zukünftigen Krisen. Wer weiß das schon.

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