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29.10.2023
Das Fallen der Blätter
Der Herbst hat die Kontrolle übernommen und legt alles Grüne in einen sanften Winterschlaf.
In den Straßen liegt wieder das Laub. Mal in langen Streifen, mal als großer Haufen in eine Ecke geblasen. Es ist zumeist nass, denn die Regentage haben noch einmal deutlich zugenommen. Ab und an findet die Sonne dennoch einen freien Flecken Himmel und lacht uns für einen kurzen Moment an, ehe breite Wolken diese Lücke schließen und Grau zur beherrschenden Farbe wird. Dabei ist es nicht Grau alleine, auch Braun und Gelb. Vor allen Dingen Gelb, und auch Rot.
Die Bäume stehen noch am selben Fleck, nun aber nackt und fast ein wenig mager, ohne ihr volles Sommerkleid. Die strecken ihre starken Arme in alle Richtungen, als würden sie sich trotzend dem Wind entgegenstellen, der nun durch alle Lande zieht und ihnen die Kleider vom Leibe weht. Die Stare sammeln sich, bilden große Gruppen und zeigen ihre beeindruckenden Flugkünste. Vielleicht sind es hunderte, wenn sie gemeinsam von den Wiesen und Feldern aufsteigen. Und es fehlen auch die Kraniche nicht. Natürlich nicht, denn sie müssen ja Kund tun was da kommt. Sie rufen es in die Welt, von ihrem erhobenen Platz. Einer Speerspitze gleich, reisen sie wärmeren Gefilden entgegen und rufen, ganz gleich zu wem, dass sie wiederkommen werden. Sie bleiben nicht lange fort. Nur so lange es nötig ist, um ausreichend Sonnenstrahlen zwischen ihren Federn zu verstauen, um diese im Frühjahr während ihrer Rückkehr über das Land zu streuen. Den Samen gleich, der Stätte allen Neubeginns.
Jetzt kommen fünf Monate, vielleicht sind es auch sechs, in denen wir die Gelegenheit haben unsere schönsten Kleider anzuziehen. Einen Mantel mit hohem Kragen, einen Schal, einen Hut mit festem Sitz und Schuhen die nur darauf warten, uns durch Pfützen und Schnee und Kälte in die warme Stube zu begleiten. In der Brusttasche etwas Geld, in der Seitentasche vielleicht ein Buch.
So sitzen wir dann im Café, am Fenster, mit einer Hand den warmen Cappuccino rührend, und schauen nach draußen in die leere Gasse. Hier und da ein Mensch, vielleicht mit Hund, einem Kinderwagen, oder auch beidem. Die Regentropfen, die sich ihren Weg unaufhaltsam entlang der großen Scheibe suchen, können uns nichts anhaben. Es ist warm und kuschelig. Wir genießen einen Moment der Stille und Entspannung, zwischen all den Stimmen und Gerüchen und allem anderen das uns gegeben.
Es ist nicht nur die kalte Jahreszeit. Es ist auch eine Zeit voller Farben, kleiner Geheimnisse und großer Wunder. Wenn wir zulassen dass wir sie sehen, wenn wir ihnen Raum geben zu wirken. Dann haben wir selbst mehr Raum, können sein ohne uns selbst zu erdrücken und ohne erdrückt zu werden. Wir lassen uns in einen sanften Winterschlaf legen. Wenn wir wieder aufwachen ist der Frühling wieder da. Die Kraniche werden uns rufen und fordern, wacht auf. Die Sonnenstrahlen kitzeln, die Bäume tragen ihre schönsten Kleider und alles Grüne und Blaue und Gelbe und Warme und Schöne und Zarte und Erfüllende und Lebendige beginnt von vorn. Es ist gut so. Wir schöpfen neue Kraft. Es ist noch Zeit, jeder Tag und jedes Jahr und jeder Sonnenaufgang ein Neuanfang.
Zuletzt bearbeitet am 29.10.2023
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