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12 Oktober 2023 - Mehr Zeit

Ich hasse die Spätschicht, und das aus gutem Grund. Einfach weil sie Zeit frisst und den Tag in unbrauchbare Stücke aufteilt.

In meiner Abteilung ist es nämlich nicht so, dass die Spätschicht wie bei allen anderen auch um 14 Uhr anfängt. Nein, wir fangen um 12 Uhr an. Die Abteilung, welche mit meiner zusammenarbeitet, fängt sogar schon um 11 Uhr an. Früher, als wir noch keinen Betriebsrat und die Firma die Schichten einfach gesetzt hatte wie es ihr gefiel, fingen wir des öfteren sogar um 10 Uhr an. Immer unter dem Deckmantel, genug Mann zu haben. Das Arbeitspensum sei sonst nicht zu aufzufangen.

Nun muss man verstehen dass ich auf dem Land lebe. Auf dem Land sind die Wege ab und an länger, mein Arbeitsweg beträgt genau 33 Kilometer und führt in großen Teilen über die Hunsrückhöhenstraße. Die ist meist stark befahren, vor allen Dingen gibt es viel LKW-Verkehr. Die Straße ist einspurig ausgebaut, so kommt es dass ich nicht schneller fahre als 80 km/h. Schneller zu fahren lohnt sich nicht, das sehe ich jeden Tag.

Somit brauche ich für meinen Arbeitsweg eine gute halbe Stunde. Da ich nicht gerne auf die Arbeit kommen und gleich springen möchte, versuche ich immer ein wenig früher da zu sein. Also fahre ich spätestens um 11:10 Uhr los. Davor muss ich noch einige Vorbereitungen treffen. Wie zb. frische Kleider einzupacken, Kaffee zu kochen und mir was zu essen zu machen. Meine frei verplanbare Zeit endet also spätestens um 10:30 Uhr. Weil ich mich nicht gerne stresse(n lasse).

Und da ich auch nicht gerne schon um sechs Uhr aufstehe, mein Wecker klingelt zwar aber der wird ignoriert, beginnt mein Tag während der Spätschicht in der Regel um 07 Uhr. Natürlich bin ich nach dem Aufwachen noch kein Mensch. Ich bin etwas das einem Menschen in Details ähnelt, äußerlich. Die Denkleistung liegt bei der eines Vorzeitmenschen, ich sehe auch genauso aus und kommuniziere auch so. Ohne Kaffee ändert sich daran auch nicht viel, manche meinen es ändere sich tatsächlich gar nichts. Bis ich also den ersten Kaffee getrunken, die Nachrichten gelesen, den Morgenschiss erledigt und mich gewaschen habe ist es gut 08 Uhr. Das ist eine Routine die ich brauche, die ich mir selbst gerne genehmige.

Das ist Teil meines Verständnisses eines guten Lebens. Ich sehe es einfach nicht ein, wach zu werden und gleich aufzuspringen und für alle Welt zu funktionieren. Erst einmal in den Tag starten, gewisse Dinge abhandeln und sich dann ins Getümmel stürzen. Mit Abzug dieser Morgenroutine und unter Berücksichtigungen meiner Vorbereitungen für die viel zu früh einsetzende Spätschicht, bleiben mir also maximal zweieinhalb bis drei Stunden am Morgen um Dinge zu erledigen.

Dienstag morgen zum Beispiel musste ich ein Rezept für meine Tochter abholen, in Bernkastel-Kues an der Mosel. Bis ich da bin, in der Apotheke war und wieder Zuhause ankomme, brauche ich nichts anderes mehr anzufangen. Die Zeit reicht schlicht nicht. Ich muss mich entscheiden was ich machen möchte und Prioritäten setzen. Soweit normal, aber der zeitliche Druck nervt ungemein. Im Moment steht wieder ein voller Hänger mit Kanthölzern in der Garage, die ich von der Arbeit mitgebracht habe und die ich zu zerschneiden plane. Ist ja fein, so eine kostenlose Brennholzquelle. Dadurch dass ich mich aber dazu entschließe diesen Beitrag hier zu schreiben, fehlen mir wieder gute 60 Minuten. Muss ja alles getippt und geprüft und hochgeladen werden.

Weintrauben. Die Blätter der Rebe nehmen bereits herbstliche Farben an.

Das alles nervt mich schon sehr, weswegen manches auf der Strecke bleibt. Natürlich sind auch Dinge meiner Faulheit geschuldet, das weiß auch meine Frau. Die hält mir das dann immer vor, was mir zusätzlich auf die Nerven geht. Es ändert nichts daran wie ich die Dinge handhabe, aber warum soll ich denn laufend irgendwelchen Ansprüchen genügen? Ist es denn nicht meine eigene Sache, mir meine Zeit einzuplanen. so wie ich es für am besten halte?! Inzwischen bin ich alt genug und übergehe jede Forderung nach mehr Leistung und mehr hier und mehr da. Es gibt auch andere Dinge die mir wichtig sind, denen ich genug Zeit einräume.

Jetzt soll nicht der Eindruck entstehen dass ich einfach nur faul wäre. Das stimmt nicht. Aber ich nehme mir auch immer wieder gerne Zeit für die schönen Dinge im Leben. Jene die das anders handhaben sind bekanntlich krank und sterben in der Regel einen zu frühen Tod oder brennen aus und fangen ein neues Leben irgendwo an. So in etwa. Dann gibt es natürlich auch immer wieder Menschen, die einem vorwerfen, mein Leben sei langweilig. Aber auch das stört mich seit langem nicht mehr. Ich habe meinen eigenen Takt, der macht mich (meist) vollkommen zufrieden.

Bis halt eben auf diese Spätschicht. Bis ich am Abend nach Hause komme ist es 21 Uhr. Da passiert nicht mehr so viel. Gestern Abend habe ich endlich mal Sörensen hat Angst gesehen, bisher kannte ich nur die Audiofassung. Der Film hat mich ziemlich überrascht. Natürlich ist Bjarne Mädel ein richtig guter Schauspieler, der Film hat mich sehr überzeugt. Alle Schauspieler waren sehr authentisch. Darum schaue ich mir heute Abend gleich Sörensen fängt Feuer an. Ich nehme mal an dass der genauso gut ist, zumindest hoffe ich das. Was mich am Film überrascht hat war, dass er sich in Teilen von der Hörfassung unterscheidet. Darum muss ich mir die heute auf dem Weg zur Arbeit wieder anhören. In meiner Erinnerung war die Aufteilung eine ganz andere, Dinge kamen erst viel später, das Ende war ein wenig anders. Mir ist schon klar dass Film und Hörfassung zwei Paar Schuhe sind, dennoch...

Jedenfalls, bis so ein Film fertig geschaut ist schlägt die Uhr 23. Dann schmeiße ich mir nur noch meine Drogen ein, tropfe meine Augen und ziehe meine Atemmaske an. Noch ein wenig lesen, dann ist aber Sense, muss ja morgens wieder früh raus und ich will ausreichend schlafen. Ich habe also zwei Routinen. Morgens erst wach werden, abends maximal zwei Stunden am Rechner oder Film/lesen. Dann die Drogen und ab in die Kiste.

Da kann man sich schon gehetzt fühlen, wenn einem der Tag nur maximal vier Stunden für das lässt, was einem wirklich gefällt. Und auch das stimmt im Grunde nicht. Denn schließlich will ein Haushalt geführt werden, was meine Frau und ich uns aufteilen. Ich meine, ich gehe ja gerne zur Arbeit und empfinde es auch nicht als sonderlich schlimm. Aber das ist Zeit die ich nicht verplane, es ist Erwerbszeit. Aus all den genannten Gründen hatte ich mir vor Jahren schon einmal überlegt, mich selbstständig zu machen. Von der Selbstständigkeit versprach ich mir vor allen Dingen eines, ein besseres Zeitmanagement. Das kann natürlich ein Trugschluss sein.

Als Selbstständiger arbeitest du selbst und ständig, so sagt man doch. Alleine die finanzielle Abhängigkeit von regelmäßigen Aufträgen und dem Zahlungswillen der Kunden, das schreckte mich schon ab. Außerdem wüsste ich auch kein Gebiet, in dem ich ernsthaft zur Selbstständigkeit käme. Mir fällt einfach kein Bereich ein in dem ich so forciert wäre, als dass ich den Sprung wagen würde. Dazu kommt noch die Sicherheit eines Arbeitsvertrages. Im Moment ist es echt schlecht, was die Auftragslage angeht. Dennoch bekomme ich jeden Monat pünktlich mein Geld. Keiner weiß wie lange das noch so bleibt, aber das gibt Sicherheit.

Diese Sicherheit bezahle ich unter anderem mit meiner Zeit. Als Arbeitnehmer trittst du auf vertraglicher Basis einen festgeschriebenen Teil deiner Lebenszeit ab, ist einfach so. Das diese Zeit halt so blöd fällt ist die Kröte die ich schlucken muss. Trotzdem ist um 12 Uhr anfangen einfach nur scheiße.

Das alles mag ja sehr nach Jammern klingen. Man bekommt ja gleich Vorwürfe gemacht, oder richtet diese gleich selbst an sich. In so was sind gerade wir Deutschen ja Weltmeister wie man sagt. Nein, Gejammer ist es eigentlich nicht. Ich bin auch keiner von denen, welche die 4-Tage Woche fordern, weil ich die für Quatsch halte. Arbeit ist ein Teil unseres Lebens. Führst du nicht eine der vielen Tätigkeiten aus welche die Arbeitswelt uns bietet, bist du auf andere Weise gezwungen irgendwie dafür zu sorgen zu überleben. Insofern passt das schon. Bei diesem Gedanken möchte ich auch nur ungerne von Work-Life Balance sprechen. Ja, mein Gedanke geht schon leicht in diese Richtung. Mir wäre es schon recht, wenn sich an den Zeiten etwas ändern würde. Um auch daran etwas zu ändern, habe ich neulich eine Bewerbung für eine intern ausgeschriebene Stelle verfasst. Neuer Aufgabenbereich, andere Zeiten. In dem Fall sogar nur Frühschicht, ab sechs Uhr an. Ich würde tatsächlich nicht einmal mehr Geld fordern. Was ich will ist einfach nur mehr Zeit.

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