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22.09.2023
Wiedersehen mit Hindernissen

Immer wieder trifft man Menschen nach vielen Jahren wieder. Meist ist das schön, aber nicht wenn aus kleinen Jungen tätowierte Skinheads werden.

So geschah es heute, als P. mit seiner Freundin in der Küche meiner Schwiegermutter saß. Ich kam gerade aus dem Baumarkt, hatte HT-Rohre gekauft, weil die Fallrohre an der Scheune unbedingt erneuert werden müssen. Eins davon war bis auf einen Meter Höhe mit Dreck gefüllt, da muss man sich nicht wundern dass sich das Wasser einen anderen Weg sucht. Darum geht es aber heute nicht. Ich kam in die Küche, weil meine Frau auch dort war. An sich wollte ich sie nur kurz begrüßen. Es lag Gewitter in der Luft und ich wollte schnell wenigstens noch ein Stück einflicken, ehe ich ganz nass werden würde. Dann sah ich ihn in der Küche sitzen.

Zugelegt hat der kleine Junge von damals, nur dass er kein kleiner Junge mehr ist. Derjenige, der mit dem Rad durch Hecken gefahren und an dem darin versteckten Zaun hängen geblieben ist, den gibt es nicht mehr. Der Junge, der bei Oma und Opa aufwuchs, weil die Eltern... all das ist Vergangenheit. Heute trägt er Glatze und die für diese Szene übliche Kleidung. Seine Freundin gleicht ihm darin.

In diesem Moment musste ich eine Entscheidung treffen. Wie gehe ich mit der Situation um? Mir wurde schon von seiner Gesinnung erzählt, ich habe ihn schon auf Bildern gesehen. Ich habe manchmal über ihn nachgedacht. Die Tatsache, dass der Himmel immer dunkler wurde und drohte den Garten zu überfluten, nahm mir in dem Moment die Entscheidung ab und gab mir etwas Raum um zu denken.

Gerne hätte ich den beiden erklärt dass wir politische Feinde sind. Auch wenn ich mich nicht zu den linksversifften Idioten zähle, ich bin kein Freund von Faschisten. Es liegt mir fern Freundlichkeit vorzuspielen, aber dies war das falsche Spielfeld. Ich stand nicht in meiner Küche, sondern in der meiner Schwiegermutter. Es wäre an ihr gewesen ihn auszuladen, aber das wäre viel verlangt. Überspitzt formuliert: Das ist doch der P. Zwar trägt P. heute Glatze und identifiziert sich mit einer gewaltbereiten Szene, aber was macht das schon. Wir sind gute Gastgeber und bieten jedem einen Kaffee an.

Vielleicht ist meine Schwiegermutter aber auch einfach schon einen Schritt weiter als ich. Als ich so draußen stand und Zeit hatte meine Wut zu bändigen, kamen mir Bilder in den Kopf. Ich dachte über die ganze Situation nach, wog ab. Ich bin selbst zu Gast in diesem Haus, auch wenn Verwandtschaft uns verbindet. Es wäre nicht gut Streit vom Zaun zu brechen. Das war auch nicht meine Absicht, aber ich wollte die beiden spüren lassen was ich von ihrem Auftreten hielt. Sie sollten meine Antisympathie spüren. Ich denke, sie spürte sie. Ich denke, ihre Antennen sind fein und sie sah wie ich sie sah. Wie ich die beiden ansah, welche Bilder und Emotionen ich in ihnen sah. Erhöhter Puls, Abwehrhaltung.

Also tue ich was ich tue seitdem ich älter geworden bin. Ich halte den Mund und lasse die Dinge wirken. Inzwischen war ich auch sehr nass geworden, ohne ein Stück HT-Rohr dazwischen zu frickeln, aber das musste reichen. Also ging ich rein, nahm meine nasse Brille ab und sagte: Jetzt aber nochmal ein ordentliches Hallo!

Der erste Brückenbauer im Bunde war Erwin, der Kater meiner Schwiegermutter. Er stellte sich auf sie und ließ sich verschmusen, weshalb wir gleich auf das Thema Katzen kamen. So sprachen wir von unserem Motte, von einem ihrer Kater der auch gerade so ohne Schaden den Sturz aus einem Fenster überstanden hatte. P. fragte mich, ob ich noch immer mein altes Schlagzeug hätte. Seiner Freundin erzählte er, dass er den ersten Beat von mir gelernt habe. Und so weiter und so fort, wir unterhielten uns. Zu mir sprach noch immer der kleine Junge. Die Stimme ist etwas tiefer, die Optik eine andere. Nun ist er ein junger Mann, lebt mit seiner Freundin zusammen. Er war, natürlich, nett. Wie das wohl wäre wenn ich schwarze Haut hätte und gebrochenes Deutsch sprechen würde?!

Die Situation ist einfach nur komisch, aber ich sehe die Dinge nun etwas klarer. Ich sympathisiere nach wie vor nicht mit dem Feind. Skinheads, Nazis, sollen sie sich nennen wie sie wollen. Sie schüchtern Menschen ein. Drohen ihnen, sind gewalttätig, töten politische Gegner. Da gibt es nichts schön zu reden. Sie sind nicht das Bollwerk das die Gesellschaft schützt. Sie sind ein Teil des Problems, nicht der Lösung.

Ich war aber auch mal jung. Ich habe dumme, wirklich dumme Dinge getan. Unverzeihlich für manchen sogar. Die Zeit hat all das weg gewischt. Ich hatte meine zweite Chance und ich habe sie genutzt. Ich musste dabei an den Aiwanger denken, an Holger's Artikel dazu. Nur dass sich diese Dinge in der Vergangenheit abspielten, wir können sie mit Abstand betrachten und bewerten. P. ist heute eigentlich unhaltbar wegen seiner politischen Gesinnung.

Gerne würde ich die beiden jungen Menschen, die so nett in der Küche gesessen und sich unterhalten haben, in einem Sechs-Augen Gespräch konfrontieren. Ich würde ihnen genau das sagen was ich zu Beginn des Artikels geschrieben habe. Ich würde ihnen erzählen dass wir politische Feinde sind. Dass ich mich nicht mit ihrer Gesinnung vereinbaren kann und will. Ich würde es diplomatisch tun. Und es gäbe ein Aber. Ich würde hinzufügen dass auch ich in jungen Jahren diese Schiene gefahren bin. Ihnen erzählen dass ich wirklich hoffe, dass wir uns irgendwann wiedersehen. Dann nicht mehr als politische Feinde, sondern als alte Freunde. Als der Onkel von einem Jungen, den P. seit seinen Kindheitstagen kennt. Als der Mann, der ihm den ersten Beat beigebracht hat. Ich möchte ihn gerne als einen anderen Mann wiedersehen, als einen Geläuterten. Als einen, der zwar viel Mist gebaut, aber wieder die Kurve bekommen hat. Hoffentlich mit seiner Freundin, denn die schien nett zu sein. Aber woher soll ich das wissen? Fünf Minuten reichen nicht aus, um einen Menschen in wenigen Worten zur Gänze zu durchdringen. Bei manchen hat man nach einem Blick alles gesehen, bei den anderen weiß man das nicht sofort.

Was ich nur hoffen kann ist, dass er auf seinem Weg der Läuterung nicht allzu viel Mist baut. Ich kann nur hoffen, dass niemand durch seine falsche Vorstellung zu Schaden kommt. An sich kann ich nicht einmal das. Die Zeit wird die Dinge in die eine oder andere Richtung treiben. An sich ist Läuterung auch ein verdammt hässliches, von Spießertum verkrustetes Wort. Woher nehme ich mir das Recht ihm vorzuschreiben wie er zu sein hat?

Ein naiver Gedanke, der sicher ganz anders klingt wenn man im FCK AFD Shirt durch P.s Wohnviertel läuft und er in einem nicht den Mann von früher sieht, der einem den ersten Beat beigebracht hat.

Fremdquelle:

aussernet.de · Harte Zeiten für die Jugend

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