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07 Mai 2022 - Unter Vaters Fittichen

Ein Tag war das heute, immerzu wollte jemand etwas von mir. Sei es meine Frau, Nachbarn, meine Mutter, die Schwiegermutter, meine Tochter. Ständig war ich gefragt um das WLAN-Kabel zu flicken, Sommerreifen aufzuziehen, alte Handys in Gang zu bringen oder Informationen verschiedener Art zu liefern oder aufzunehmen. Dabei hatte ich selbst genug damit zu tun den Rasen zu mähen, das Messer des Mähers zu schärfen, beide Garagen und die Werkstatt aufzuräumen, das Hochbeet zu vollenden, einen Trockner zu entsorgen, eine alte Vogelfutterstation auseinander zu bauen und und und. Jetzt kämpfe ich gegen die Müdigkeit, mit einer 3/4 Jumbopizza im Bauch und schweren Augenlidern. Soll heißen, ich hatte einen durch und durch erfüllenden Tag, und dabei fing der mit schaurigen Aussichten an.

Verschiedene Baumsorten in unterschiedlichen Farben.

Die Aussichten kamen daher da unsere Tochter uns heute ihren Freund vorstellen würde. Gestern schon hatte ich ihr ordentlich Angst gemacht, diesem Pflegefall stünde heute zunächst einmal ein Vorstellungsgespräch bevor das es in sich habe, ehe er auch nur einen Fuß in dieses Haus setzte.

Doch schon der erste Blick durch das Fenster zeigte mir, der geht in Ordnung. Es braucht nicht mehr als einen kurzen Blick, einen Fetzen Mimik, einen Hauch Körpersprache um zu wissen wohin die Reise geht. Die Würfel sind damit nicht endgültig gefallen, der Neue steht weiterhin unter Beobachtung, die wichtigste Entscheidung aber steht und ich beschloss dem Jungen eine Chance zu geben. Er ist gerade einmal 15 Jahre alt, aber beinahe schon so groß wie ich. In diesem Fall scheint sich zu bewahrheiten dass Frauen sich bei ihrer Partnerwahl den eigenen Vater zum Vorbild nehmen.

Es gab genug Möglichkeiten ihn kennenzulernen. Meine Tochter legte Wert darauf mich möglichst oft einzubinden, ihn mir von seiner besten Seite zu präsentieren, das nervte richtig. Man muss wissen dass er aus einer schwierigen Familie in eine Wohngruppe gekommen ist, die beiden sind Klassenkameraden. Diese Wohngruppe wollte er uns unbedingt zeigen, die Erzieher sollten seine Freundin kennenlernen. Nette Menschen, und das Haus ist gut ausgestattet. Im Anschluss hat er uns sein Zimmer gezeigt. Darin steht ein Tisch mit einem Rechner und der typischen jugendlichen Unordnung darauf. Ein Bett, ein weiterer kleiner Tisch, ein kleines Regal wenn ich mich recht entsinne, mit einem Katana darauf. Daneben ein kleiner Schrank worin er seine Schätze aufbewahrt, alte Werkzeuge die er von seinem Opa geerbt hat. Einen ewig alten Metabo Akkuschrauber hat er mir gezeigt, der noch immer tut. Er glänzt durch Fachwissen, ich bin erstaunt ohne es zu zeigen. Als wir uns umdrehen kreuzt sich mein Blick mit dem meiner Tochter. Sie strahlt, ihre Augen sagen voller Stolz: "Schau was für einen tollen Freund ich habe. Ist er nicht vielversprechend?" In diesem Moment liebe ich sie so sehr. Natürlich sind die beiden noch sehr jung, alles könnte enden ehe es richtig angefangen hat. Das alles wirkt aber tatsächlich vielversprechend auf mich. Meine Sorge dass meine Tochter einer Spinnerei erliegt und als Drogenkonsumentin am Frankfurter Bahnhof endet scheint unbegründet. Mir fällt auf dass er sein Handy laufend laden muss. Ein uraltes Gerät mit Android in Version 4. Ich schenke ihm ein Gerät dass nicht viel besser ist, immerhin Android 7. Wenn alles gut geht und die beiden zusammenbleiben erhält er ein hochwertigeres Gerät. Alles weitere zeigt die Zeit.

Übrigens, heutzutage hat man nicht einfach Streit. Laut meiner Tochter hat man jetzt Beef. Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten.