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16 August 2022 - Genau hingeschaut

Der gestrige Montag war auf ganz verschiedene Weise interessant und gleichzeitig lehrreich.

Lehrreich in Sachen Demut und Nächstenliebe zum Beispiel. Als ich gleich morgens in Simmern beim Lungenfacharzt vorstellig wurde um dort meine Krankenkasse nachzureichen, welche ich beim letzten Besuch vergessen hatte, bekam ich die Verzweiflung einer Tochter zu spüren die um das Wohl ihrer vermutlich dementen Mutter besorgt war.

Sie war eine blond gelockte, gutaussehende aber gestresst wirkende Dame, vermutlich etwas älter als ich, mit dem üblichen russischen Akzent. Ihre Mutter führte sie an der Hand. Anscheinend war sie um einen Termin bemüht, brauchte aber eine Überweisung und stieß damit an die deutschen Bürokratiegrenzen. Ich bekam nicht viel mit, nur soviel wie Wenn wir solange warten müssen sterben noch mehr Gehirnzellen ab, oder Wissen Sie, ich bin wirklich verzweifelt. Das sind natürlich Schicksale die jeden treffen können und auch mich nicht kalt lassen. Zwar kann ich nicht von mir behaupten ein guter, fürsorglicher Sohn zu sein, das sicher nicht. Aber ich denke wenn man jemanden aus dem nahen Umfeld so vor die Hunde gehen sieht klammert man sich an jeden Strohhalm, nur um den geliebten Menschen solange es geht zu erhalten.

Aus dem Kollegenkreis kenne ich da einige Fälle, die berichten einstimmig von der hohen Belastung und dem Schmerz. Zu beobachten wie einst vitale Menschen nach und nach ins Nichts übergehen ohne aber ihre Existenz aufzugeben ist tatsächlich zum Verzweifeln.

Zwischenmenschlich interessant wurde es im Baumarkt. Dort war ich ja um nicht genutzte Materialien abzugeben, verschiedene Dinge für die Tochter zu erwerben, aber auch um mich für zukünftige Tapezierbaustellen zu rüsten. Auf der Suche nach einem Verlängerungskabel kam ich an einem Mitarbeiter vorbei der gleich erkannte dass ich mich in dem Markt nicht auskannte. Der begleitete mich dann auch bis zum letzten Artikel und stand mir mit Rat zur Seite. Am Ende bedankte ich mich für den tollen Service, was er als selbstverständlich abtat. Dafür sind wir ja da. Das mag sein, trotzdem mag ich solche Situationen und es ist schön wenn man fragen kann und sich jemand Zeit nimmt um Alternativen vorzuschlagen. Der Mann strahlte einfach eine Ruhe und Erfahrenheit aus die man wohl erst mit einem gewissen Alter erwirbt. Außerdem schien das Tapezieren auch eines seiner Steckenpferde zu sein.

Pfotenabdrücke aus Lehm einer Katze auf dunklen Schieferfliesen.

Der erste Arbeitstag gestaltete sich dann wie so viele erste Arbeitstage bereits zuvor. Es gibt Dinge auf die man sich freut, Menschen mit denen man nach gut zwei Wochen einiges auszutauschen hat und natürlich auch stumpfsinnigen Mist der sich während der eigenen körperlichen und geistigen Abwesenheit gerne hätte abgeschafft werden können. Im großen und ganzen ist das schon in Ordnung, es könnte auch anders sein. Der Kollege mit dem ich im letzten Jahr einige Probleme hatte spricht wieder ganz normal mit mir, auch andere Dinge sind nicht so dass sie einem den Magen umdrehen würden wenn man nur an die Firma denkt. Wir haben unter uns ein gutes Klima, was ich auch schon anders erlebt habe. Im Großen und Ganzen kann ich also sagen, es ist gut wieder arbeiten zu gehen. Auch wenn der Wunsch nach der Rosinenpickerei nie ganz fort ist.

Ich empfehle folgende Doku, Kein Rollstuhl für dich. Sie zeigt Anne, eine Mutter deren Kind bereits im Mutterleib einen Schlaganfall erlitt und mit den bekannten Einschränkungen bereits im Kindesalter zu leben hatte. Aufgegeben von den Ärzten entwickelt Anne eine "Elektroweste" für ihre Tochter Dindia welche sie vor dem Rollstuhl bewahrt. Ich fand die Leistung dieser beiden Frauen wirklich erstaunlich, mich berührt das menschlich auch sehr. Schaut auch die Sendung gerne mal an, sie erzählt eine Erfolgsgeschichte.

In den kommenden Tagen bekommen verschiedene Menschen noch Post von mir. Ich habe es durch den Umbau nicht geschafft euch zu schreiben, vergessen habe ich euch dennoch nicht.